Verkehrsgutachten Innenstadt: Und dafür die ganze Aufregung?

Innenstadt Remscheid OpenStreetMap

Ich hatte inzwischen Zeit, erste Blicke auf das Verkehrsgutachten Innenstadt zu werfen, das die Stadtverwaltung zurückgehalten hatte. Ich hatte eine Anfrage nach Informationsfreiheitsgesetz NRW gestellt, die Stadt hatte die zeitnahe Herausgabe verweigert und, daraufhin von mir mit einer Beschwerde  angerufene Büro der Landesdatenschutzbeauftragten NRW hatte die Ablehnungsgründe der Stadt als rechtlich falsch verworfen und  eine sofortige Herausgabe des Gutachtens angeordnet.

Wie man die Stadt Remscheid kennt, haben die die Anordnung, das sofort zur Verfügung zu stellen, geflissentlich ignoriert und sich mit der Herausgabe nochmal Wochen Zeit gelassen. Ich gehe davon aus, dass sie nun vermutlich unter Druck waren es zu veröffentlichen und mir tatsächlich nicht wie angeordnet vorab eine Version zur Verfügung stellen wollten. Dass die Stadtverwaltung Remscheid durch die vorsätzliche Verzögerung einen Rechtsverstoß in Sachen Fristen begangen hat, scheint dort niemanden zu interessieren (vermutlich auch weil sie genau wissen, dass die Sanktionsmöglichkeiten der Landesdatenschutzbeauftragten leider äußerst begrenzt sind).

Wirft man einen Blick ins Gutachten, muss man feststellen, dass darin nichts steht, was Bürger°Innen, die Stadtumbauten anderswo verfolgen, und die sich über Mobilitätswende und modernen Stadtumbau informieren, besonders verblüffen sollte. Tatsächlich erscheinen die Umbauvorschläge sogar eher konservativ, insbesondere wenn man auf die in meinen Augen doch eher rückständigen Vorschläge zum Radverkehr blickt, die keine abgegrenzte Radinfrastruktur wie in Holland vorsehen, sondern nur Radspuren oder Schutzstreifen, die nicht räumlich vom Straßenverkehr getrennt sind. Auch ausschließlich die für Radfahrende eher unbequem gelegene Brüderstraße zur Radfahrstraße zu machen, statt das auch auf andere Straßen auszudehnen, lässt in meinen Augen Kreativität vermissen.

Dennoch: Einige der Vorschläge gehen ziemlich weit, zum Beispiel die zum Umbau der Freiheitstraße, wo die Autospuren von zwei auf eine breite verringert werden sollen, um deutlich mehr Raum für Radfahrende und Fußgänger°Innen zu schaffen. Zudem soll (nicht nur auf der Freiheitstraße) umfangreich begrünt werden, auch das etwas, wogegen sich die Verantwortlichen bei der Stadt Remscheid aufgrund des Pflegeaufwands seit Jahren mit Händen und Füßen wehren. Die Anregung, den Tunnel unter dem Allee-Center für Radfahrende freizugeben, könnte sogar sofort und nahezu ohne Kosten umgesetzt werden.

In der Übersicht ist zu all den Änderungen zu sagen, dass die Erkenntnisse aus dem Gutachten die politisch und verwalterisch Verantwortlichen bei der Stadt Remscheid unter erheblichen Druck setzen werden. Denn es stehen all die Dinge darin, die sie seit Jahren nicht hören und schon gar nicht umsetzen wollten. Tatsächlich dürfte der Grund dafür, dass es so lange zurückgehalten wurde, nicht darin liegen, dass es “Politik und Bürgern nicht zuzumuten sei”, sondern dass es tatsächlich der Stadtspitze nicht passt und diese dadurch erheblich unter Druck gesetzt wird, nun aber endlich mal den Verkehr und die Mobilitätswende im Innenstadtbereich anzugehen und dabei den Fokus deutlich weg vom Auto zu verschieben. Denn es stehen eindeutige Handlungsvorschläge darin, von denen einige sofort und fast kostenfrei umgesetzt werden könnten.

Das wird selbstverständlich Zeter und Mordio seitens der Autofetischisten geben, die ihre ungerechtfertigten, aber seit Jahrzehnten unveränderten Privilegien nicht aufgeben wollen – und die politische Stadtspitze wird sicherlich eine enorme Angst vor Stimmverlusten haben, wenn Diesel-Dieter und Benzin-Bärbel sie nicht mehr wählen. Man muss nur mal einen Blick auf Kommentare gewisser Figuren auf dem Waterbölles-Blog werfen, um zu wissen, welche rückwärtsgewandten, reaktionären Protagonisten es in dieser Hinsicht in Remscheid gibt. Aber auch die werden sich der Realität und den veränderten Bedingungen stellen müssen.

Wir haben es jetzt schwarz auf weiß – und vor allem von unabhängiger Gutachterstelle -, dass wir alle, die seit Jahren die Zustände in Remscheid beklagen, mit seinem völlig ungerechtfertigten und rückwärtsgewandten Fokus auf Autoverkehr, vollkommen Recht hatten. Und dass auch die Akteure, die sich für deutlich mehr und schnelle Umsetzung von Radprojekten einsetzten, mit ihren Vorschlägen selbstverständlich vollumfänglich Recht hatten. Das sollte selbstverständlich auch bedeuten, dass man die für Radverkehr Verantwortlichen nun mit deutlich mehr Ressourcen ausstatten müsste, als sie bisher hatten. Ebenfalls wird man die sinnbefreiten Flächenversiegelungen überdenken müssen, zu denen es immer noch kommt, als gäbe es keine Klimakatastrophe und keine “Schwammstadt”-Konzepte. Ich denke hier unter anderem an den Friedrich Ebert-Platz, der den Planungen nach zur Steinwüste werden wird.

Wie man die Verantwortlichen bei der Stadt Remscheid aus der Vergangenheit kennt, husten die aber gern mal auf externe Expertise; dass dieses Gutachten nun vorliegt, bedeutet noch lange nicht, dass die Erkenntnisse daraus auch zeitnah – oder überhaupt – umgesetzt werden.

Es muss also weiterhin politischer Druck auf die Verantwortlichen ausgeübt werden, damit die Maßnahmen aus dem Konzept auch möglichst zeitnah zur Umsetzung kommen. Aber vermutlich wird das immer wieder durch die wohlfeile Ausrede “es ist kein Geld da!” verhindert werden, vielleicht sogar bei den Umsetzungen, die nichts kosten …

Karte aus OpenStreetMap, Open Database Licence

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